Champagner vs. Schaumwein      

Ist Champagner noch die richtige Wahl?

Autor: Sven Riebel
Foto: Michael Krug

Achtung, Achtung: Riebel referiert. Dabei bitte nicht vergessen: Frankfurter Bubble, hin und wieder auf Reisen und über den Tellerrand hinausschauend. Geprägt durch einen sehr kleinen Laden seit achteinhalb Jahren, keinesfalls Großgastronom, immer auf der Seite der Gäste und stets auf der Suche nach Qualität mit Bedacht aufs Preisliche. Ich möchte darum bitten, dass man sich beim Lesen meiner These hinterfragt. Für Feedback und Austausch bin ich dankbar, denn nur so kommt die Barszene, die in den letzten Jahren hart gebeutelt wurde, weiter.

Warum Champagner vs. Schaumwein?

Nun, Champagner ist aus Bars nicht mehr wegzudenken. In den letzten zwei Jahren trauen sich Gäste in unserer Bar THE TINY CUP auch endlich wieder an Drinks, die mit Schaumwein aufgetoppt werden, und es wird vermehrt das eine oder andere Glas so bestellt. Das freut mich ungemein, denn dieser erfrischende erste Schluck mit der filigranen Bubbligkeit ist ein Genussmittel par excellence. Ob um den Abend einzuläuten oder als letztes Getränk, bevor es nachts nach Hause geht: Ein Glas Champagner beflügelt und ist stets in drei Zügen zu genießen.

Gegen Ende des Abends folgt dann mittlerweile immer öfter die Ernüchterung, denn die finanzielle Erleichterung, die man erfährt, ist teilweise haarsträubend und die Säure des Champagners bahnt sich hin und wieder ihren Weg zurück. Und das zu Recht.

Hat die Industrie den Bogen mit ihren Preisen überspannt?

Sosehr ich mich also über den Konsum von Champagner freue, sosehr bin ich auch erschrocken, was ein Glas Champagner oder ein Champagner-Drink in Bars kosten kann. Ich fühle mich hin und wieder abgerippt und möchte nicht, dass einer meiner Gäste das gleiche Gefühl bekommt, wenn er bei mir trinkt. Mir stellen sich daher mehrere Fragen und gleichzeitig möchte ich mich an dieser Stelle entschuldigen, wenn es zu Verwirrung führt, doch es ist Kuddelmuddel in meinem Kopf und ich versuche diesen hier zu lösen: Hat die Industrie den Bogen mit Ihren Preisen überspannt? Denn irgendwie muss man den Einkaufspreis im Verkaufspreis eines jeden Cocktails oder eines jeden Glases verwurschteln. Kalkulieren wir einfach zu radikal und nutzen die Brand für die Rechtfertigung des Preises? Hängen wir fest, weil wir ein Stück Papier unterschrieben haben, welches uns an eine große Marke bindet, und weil Champagner eben Champagner ist und nichts darüber gehen soll? Oder sind wir einfach zu faul geworden und begeben uns nicht auf die Suche nach Produkten, die Champagner adäquat substituieren könnten, und verschließen wir uns damit einer Bandbreite von Produkten, die aus anderen Regionen kommen? Oder ist uns das eigentlich total egal und der Gast ist halt der „Dumme“, der eben den Preis zu bezahlen hat, weil ja auch Champagner im Drink verwendet wurde? (Hinweis: Wer die letzte Frage mit „Genauso ist es“ beantwortet, sollte nicht weiterlesen!)

Ja, Champagner ist ein prestigeträchtiges, geschütztes und kontrolliertes französisches Produkt. Zweifelsohne ergibt die feine Brause durch Tradition und Terroir auch Sinn im Glas. Und ja, natürlich zahlen wir als Konsumenten die Marketingausgaben eines jeden Konzerns mit, ich würde sogar sagen: Wir unterstützen den Hype einer jeden vom Marketing gepushten Marke. Der Gast dagegen ist es gewohnt, im Weinhandel oder online den Preis für eine Flasche zu zahlen, der ihm diktiert wird. Willkommen in der Konsumgesellschaft. Doch drückt Preis gleichzeitig Qualität aus oder wird durch eine teure Marketingkampagne dem Konsumenten lediglich suggeriert, in der Flasche befinde sich das Nonplusultra? Wo ist das Limit? Welchen Preis kann man noch rechtfertigen, bei dem die Qualität stimmt und man gleichzeitig die Brand nicht mitbezahlt?

All diese Fragen – und ich sagte ja, jeder solle sich bitte hinterfragen und die Fragen auf seinen Betrieb anwenden – gilt es kritisch zu beantworten. Für mich löst sich die „Champagner vs. Schaumwein“-Frage durch eine neue Sichtweise und mein Leben wird gerade interessanter: Wir sind es gewohnt, in der Kategorie „Champagner-Cocktail“ zu denken, arbeiten nach Rezept, auch Rezepte aus alten Büchern werden immer wieder neu interpretiert: Da wurde Champagner verwendet, es muss auch wieder Champagner rein. Und wenn Champagner dann mal offen ist, wird er auch zumeist als Pouring-Champagner ausgeschenkt. Das ist neuerdings für mich völliger Humbug!

Spräche man nicht vom „Champagner-Cocktail“, sondern vom „Schaumwein-Cocktail“, eröffnete sich auf einmal ein Spektrum der Vielfalt, das ihresgleichen suchte und das einen immensen Einfluss auf die Preisgestaltung eines Cocktails hätte.

In den letzten Jahren haben Produzenten aus anderen Regionen und Ländern einen gehörigen Sprung in Sachen Perlage und Aromatik gemacht, die an Champagner erinnern, wenn nicht sogar mit ihm gleichzusetzen sind. Keine Sorge, jetzt kommt nicht die Leier von „brutal regional“. Vermeintlicher Luxus muss nicht mehr nur aus Frankreich kommen. Es gilt, die kleinen Häuser zu finden, meinetwegen auch in der Champagne, Aromen neu zu erkennen und am Ende dem Gast preislich entgegenzukommen. In Zeiten einer Inflation muss nicht immer alles teurer werden, denn am Ende stellt sich die Frage: Wo landen wir eigentlich alle, wenn das so weitergeht? Kann nur noch der Gutbetuchte in Bars was trinken gehen?

Keine Angst: Champagner bleibt Champagner.

Er ist aber gleichzeitig auch ein Schaumwein unter vielen. Nur bitte tut mir einen Gefallen: Augen auf bei der Produktwahl. Es gibt noch viele Schaumweine zu entdecken, den Kleinen gehört die Welt.

Liebst,

Riebel

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